ZEIT.DE – Die Kinderfänger vom Amt – Bis 1981 steckten Schweizer Behörden Jugendliche ins Gefängnis – ohne dass eine Straftat vorlag. Erst jetzt beginnt die Wiedergutmachung - Um 17 Uhr, am Freitag, dem 10. September 2010, geschieht in der Strafanstalt Hindelbank Erstaunliches. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartment lädt zu einer Gedenkveranstaltung. Es geht um moralische Wiedergutmachung an Menschen, die einst »administrativ verwahrt« wurden. Um Opfer grausamer Behördenwillkür.

Dominique Strebel – «Weggesperrt» – Warum Tausende in der Schweiz unschuldig hinter Gittern sassen – Wer nicht «recht tat», wurde eingesperrt - ohne Gerichtsurteil. Die Beobachter-Spurensuche zu den administrativ Versorgten - einem dunklen Kapitel Schweizer Geschichte. Die 17-jährige Ursula Biondi muss ihr Baby in einem Gefängnis zur Welt bringen, und nur dank ihres erbitterten Widerstands kommt es nicht zur Zwangsadoption. Als der Beobachter diesen Fall aufdeckte, meldeten sich Dutzende weiterer Opfer - Frauen und Männer: Sie alle waren ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis oder in eine Arbeitsanstalt gesteckt worden, administrativ versorgt, wie das damals hiess. Tausende waren betroffen, so schätzt man heute. Behördliche Stempel wie «Unsittlicher Lebenswandel», «Liederlichkeit» oder «arbeitsscheu» genügten für eine Einweisung; wer sich nicht benahm wie erwartet, wurde ohne gerichtliches Urteil eingesperrt. Eine gängige Praxis bis 1981. Die Beobachter-Spurensuche gibt den Betroffenen ein Gesicht, dokumentiert ihren Weg zur Rehabilitierung und fragt, wie sich die Ungerechtigkeiten wiedergutmachen lassen. So entsteht das Bild eines dunklen Kapitels Schweizer Geschichte, das noch nicht lange der Vergangenheit angehört.

Buchvernissage von «Weggesperrt» im Landesmuseum in Zürich mit Regierungsrat Markus Notter. Textausschnitte: Ursula Biondi «Mein ganzes Leben bin ich vor dem Trauma davongerannt», sagte sie am Mittwoch im Landesmuseum an der Vernissage des «Beobachter»-Buches – «Die Vergangenheit darf sich nicht wiederholen. Wir sind verpflichtet, auch heute genau hinzuschauen.» 
«Weggesperrt»

Buch «Weggesperrt» von Dominique Strebel – Textausschnitt: Madeleine Ischer (1949), mit 17 nach Hindelbank: Den Liebesbrief konnte ich erst 43 Jahre später lesen. Ich resignierte völlig, bis ich eine Mitinsassin traf, Ursula Biondi. Sie war gleich alt und schwanger wie ich ein Jahr zuvor. Ich wusste, was ihr alles bevorstand. Deshalb begann ich, für sie zu kämpfen. Das gab mir wieder Mut zum Leben. Ursula kam im April 1968 frei, ich musste noch ein halbes Jahr warten. Sie konnten nicht anders, als mich freizulassen, weil der Berner Polizeidirektor Robert Bauder gegen meine Anstaltseinweisung protestierte. Mein Vormund hatte mich ohne gültige Rechtsgrundlage nach Hindelbank eingewiesen. 

«Weggesperrt: Warum Tausende in der Schweiz unschuldig hinter Gittern sassen»
Leseproben
 

Zürcher Landzeitung – «Nicht entschuldbare Willkür» «Administrativ versorgt»: Politik sucht passende Worte für dunkles Kapitel der Sozialgeschichte Der Schaden ist immens sagt Ursula Biondi … es war ein Brechen von Menschen nur das sie sich anpassten

SRF.CH – Club: Es ist ein dunkles Kapitel Schweizergeschichte: Mehrere 10000 Kinder und junge Menschen wurden bis in die 80er-Jahre unschuldig in Gefängnissen und Anstalten «versorgt».
Ursula Biondi, als Jugendliche unschuldig weggesperrt, Sergio Devecchi, ehem. Heimkind, Bernadette Gächter unter Zwang sterilisiert, Roland Begert, ehem. Heim- und Verdingkind.

Die Filmsequenz von 1.37 Min. zeigt auf, wie nah Ursula Biondi (Initiantin) diese ganze emotional geladene Debatte ging. Filmsequenz

Kommentar zum Club von Ursula Biondi: Dieser „Club“ war für mich die reinste Zitterpartie und ein Spiessrutenlauf und das drei Tage vor der geplanten bevorstehenden offiziellen Entschuldigung für die administrativ versorgten Menschen vor 1981 im Schloss Hindelbank (10.09.2010), für die eine offizielle Entschuldigung mit einer Entstigmatisierung zwingend war! Deshalb war die Zusammensetzung der Teilnehmer in jenem Club insofern unglücklich, als es im Hinblick auf den kurz bevorstehenden Anlass im Schloss Hindelbank mehr Teilnehmer aus der Gruppe von ehemaligen administrativ Versorgten gebraucht hätte, die für eine offizielle Entschuldigung tatkräftig eingetreten waren. Deshalb kam es dazu, dass einer der Teilnehmer im „Club“, ein ehemaliges Verdingkind, sich dahingehend äusserte, dass es nicht genüge, „leere Worthülsen mit warmem Atem in die Luft zu lassen“, und ein anderer Teilnehmer, ein ehemaliges Heimkind, sagte, dass es ihm persönlich eigentlich „wurscht“ sei, ob sich Frau Widmer-Schlumpf entschuldige. Dies bedeutete für mich eine zusätzliche nervliche Belastung in dieser ohnehin gespannten Atmosphäre durch diese völlig unerwarteten vernichtenden Äusserungen der beiden ehemaligen Verding- und Heimkinder in dieser Sendung! Ein Albtraum für jemanden, der seit anfangs 2000 und acht Jahre später zusammen mit dem Beobachter, vielen Mitstreiter*Innen von Betroffenen, unterstützenden Behördenmitgliedern, Politiker*Innen auf dieses Ziel (eine offizielle Entschuldigung für die Opfer von administrativ Versorgten zu erhalten) intensiv hingearbeitet hatte. Nur mit Rücksicht auf den Fortgang der Sendung verabschiedete ich mich nicht vorzeitig.
Dankeskarte

TAGESANZEIGER.CH – «Wir wurden weggesperrt» – Bis vor 30 Jahren wurden Jugendliche, die nicht spurten, wie Straftäter weggesperrt. Zum Beispiel ins Frauengefängnis Hindelbank. Dort findet in einer Woche ein Akt der «moralischen Wiedergutmachung» statt. Textausschnitt: Der Verdacht muss weg. Mit dem Treffen in Hindelbank kommt Ursula Biondi ihrem Ziel einen wichtigen Schritt näher. Sie hat eine «Anlaufstelle für administrativ versorgte Frauen und Männer 1942–1981» gegründet. Seit zehn Jahren kämpft sie dafür, dass «die Behörden hinstehen und sagen, dass es falsch gewesen sei, Menschen auf diese Art wegzusperren». Erst vor gut zwei Jahren fand sie im «Beobachter» öffentlich Gehör. Vom Anlass in Hindelbank erwartet Ursula Biondi nun eine «moralische Wiedergutmachung». 

Tele Top – Talk: Weggesperrt Gäste: Ursula Biondi, administrativ Versorgte, unschuldig weggesperrt. Dominique Strebel, Autor vom Buch 'Weggesperrt' Solche Zustände in der Schweiz? Undenkbar! Schockierend! So reagierten viele, als der Beobachter das Schicksal der administrativ Versorgten in der Schweiz aufdeckte. Die Recherchen brachten Erschreckendes ans Licht; Eine schwangere 17-Jährige landet im Frauengefängnis Hindelbank, ein Lehrling wird in der Festung Aarburg mit verurteilten Mördern festgehalten und für einen 16-Jährigen endet sein Traum, zur See zu fahren, in der Arbeitsanstalt. Straftaten hatten diese jungen Leute nie begangen. Das Buch «Weggesperrt» zeigt erstmals, was die administrativ Versorgten durchmachten, weshalb so viel Unrecht toleriert wurde und warum eine Rehabilitierung so wichtig ist.

SRF.CH – Reporter: Geschichten, die «Reporter» schrieb - Folge 2 vom 12.7.2010. Ursula Biondi landete 1966 mit 17 als Schwangere in der Strafanstalt Hindelbank – ohne eine Straftat begangen zu haben. Die Vormundschaftsbehörde hatte zu dieser «erzieherischen Massnahme» gegriffen, weil Ursula sich in einen geschiedenen, 7 Jahre älteren Mann verliebt hatte und minderjährig schwanger wurde.

La Regione TicinoPer il tuo ‘bene’ Le vittime di internamenti amministrativi, una prassi applicata in Svizzera fino al 1981, presto otterranno una riparazione morale da parte di Cantoni e Confederazione.

BEOBACHTER.CH – ADMINISTRATIV VERSORGTE: Widmer-Schlumpf nimmt sich Zeit. Im Spätsommer dieses Jahres ist es so weit – Justizministerin Widmer-Schlumpf, der Zürcher Sozialdirektor Hans Hollenstein und der Berner Polizeidirektor Hans-Jürg Käser empfangen administrativ Versorgte in der Strafanstalt Hindelbank. Der Anlass ist ein wichtiger Schritt zu einer moralischen Wiedergutmachung für all jene Männer und Frauen, die als «Liederliche», «Verwahrloste» oder «Arbeitsscheue» von Behörden in Gefängnissen oder Arbeitserziehungsanstalten versorgt wurden, ohne dass sie je straffällig geworden wären. In der Schweiz war dies bis 1981 gängige Praxis. Zehntausende landeten so ohne kriminelle Tat hinter Schloss und Riegel. Eine von ihnen ist Ursula Biondi, die 1967 als 17-Jährige von Zürcher Vormundschaftsbehörden nach Hindelbank eingewiesen wurde. Ihre Geschichte hatte der Beobachter im Herbst 2008 öffentlich gemacht und damit gemeinsam mit Biondi die Diskussion um die administrativ Versorgten ins Rollen gebracht.

RSI.CHFALÒ: madri derubate – Vivere senza mio figlio – Per essere rimaste incinta quando erano minorenni, per aver vissuto una vita giudicata “diversa”, moltissime adolescenti sono state rinchiuse in prigione senza processo, e senza aver commesso alcun reato. Succedeva in Svizzera fino al 1980. Molto spesso i bimbi di queste ragazze madri, prelevati di forza, sono stati destinati all’adozione. Quaranta anni dopo alcune di queste “madri derubate” cercano disperatamente il loro bambino, altre sono riuscite a riallacciare i contatti con i figli ormai grandi. Uno scandalo svizzero, rimasto nascosto fino ad oggi, di cui si sta occupando anche la Berna federale e che dovrebbe portare, nel 2010, a delle scuse ufficiali nei confronti di queste donne. Ospite in studio la consigliera nazionale Marina Carobbio.

FEMINA.CHBébés volés – recherche de témoins romandes Emprisonnées, leur enfant enlevé à la naissance… C’est le destin qu’ont connu de jeunes Suissesses entre 1942 et 1981, soumises à «l’internement administratif». Dans le sillage d’Ursula Biondi, auteure d’un livre sur son expérience d’«internée» à 17 ans («Geboren in Zürich. Eine Lebensgeschichte», voir article dans Femina du 28 juin 2009, page 26-27 [1]), des femmes alémaniques sortent de l’ombre, espérant retrouver leur enfant et leur honneur.

RTS.CHLe scandale des enfants volés en Suisse

DERBUND.CHBern prüft Rehabilitierung administrativ Versorgter In 20 Jahren ist zu spät «Die Frauen werden älter, die Jahre laufen ihnen quasi davon», sagt Regierungsrat Neuhaus. Eine Wiedergutmachung bringe nichts mehr, wenn die Betroffenen nicht mehr leben würden. Denn die Frauen lebten mit den Stigmata, in einer Vollzugsanstalt gewesen zu sein. «Wie soll ich erklären, dass ich im grössten Frauengefängnis der Schweiz sass – und doch keine Strafgefangene war?», fragte Biondi im «Beobachter». Im Prinzip stünden sie im juristischen Niemandsland, und theoretisch dürfte es sie gar nicht geben. «Doch wir sind da», sagt Biondi. «Wenn wir in 20 Jahren mit Pomp rehabilitiert werden, nützt uns dies im praktischen Sinne nichts mehr», sagt Biondi. (Der Bund)