Ein dunkles Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte aufarbeiten

Am Runden Tisch arbeitete die offizielle Schweiz von 2013 bis 2018 ein dunkles Kapitel ihrer Sozialgeschichte auf. Es ging um das Schicksal von Kindern und Jugendlichen, die vor 1981 von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen (FSZM) oder Fremdplatzierungen betroffen waren. Zu den Betroffenen zählen etwa Verdingkinder, Heimkinder, administrativ Versorgte (Personen, die im Rahmen administrativer Massnahmen in geschlossene Anstalten, zum Teil sogar in Strafanstalten eingewiesen worden sind), Personen, deren Reproduktionsrechte verletzt worden sind (unter Zwang oder ohne Zustimmung erfolgte Abtreibungen, Sterilisierungen, Kastrationen), Zwangsadoptierte und Fahrende.

Die Arbeiten des Runden Tisches und was daraus für die Betroffenen sowie für die ganze Schweiz entstehen kann, bieten eine historische Chance, dieses dunkle Kapitel aufzuarbeiten und gleichzeitig dazu beizutragen, dass sich solches Unrecht nicht wiederholt.

Bericht und Massnahmenvorschläge des Runden Tisches von 2013

Im «Bericht und Massnahmenvorschläge des Runden Tisches von 2013», wird auf die offizielle Entschuldigung durch die damalige Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf vom 10. September 2010 im Schloss Hindelbank hingewiesen, die den entscheidenden politischen Durchbruch für die weitere soziale Aufklärung dieses dunklen Kapitels der Schweizer Sozialgeschichte bedeutete und wie diese offizielle Entschuldigung zustande gekommen ist. 
Bericht und Massnahmenvorschläge des Runden Tisches

Unter Ziffer 2.5.1 Anstalten Hindelbank wurde festgehalten: 

Dank dem Engagement von ehemaligen administrativ versorgten Frauen wurde bereits am 10. September 2010 im Schlosssaal der Anstalten Hindelbank ein Gedenkanlass zur moralischen Wiedergutmachung durchgeführt.

Betroffene Frauen schilderten an diesem Anlass, wie sie aufgrund der administrativen Einweisung ein Leben lang ausgegrenzt und diskriminiert worden sind: Obwohl sie nie straffällig geworden waren, wurden sie aufgrund des Umstandes, dass sie in der Strafanstalt Hindelbank versorgt worden waren, stigmatisiert. Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Kantonen baten die ehemaligen administrativ versorgten Personen für die über Jahrzehnte angeordneten Einweisungen um Entschuldigung und bedauerten das dadurch verursachte Leid. Für den Bund bat Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, damalige Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD um Entschuldigung «,dass Sie ohne Gerichtsurteil zur Erziehung administrativ versorgt wurden». Für die Kantone baten Regierungsrat Hans Hollenstein als Vertreter der SODK, Oberrichter Guido Marbet als Vertreter der Konferenz der Kantone für Kinder- und Erwachsenenschutz KOKES sowie Regierungsrat Hans-Jürg Käser als Vertreter der kantonalen Justiz- und PolizeidirektorInnen KKJPD um Entschuldigung. Für die betroffenen Frauen sprachen Ursula Biondi, Rita Werder-Schreier und Gina Rubeli am Gedenkanlass.
Der Weg für die am 10. September 2010 ausgesprochenen öffentlichen Entschuldigungen von Seiten der Bundesrätin sowie den Vertretern der kantonalen Fachdirektorinnen- und Fachdirektorenkonferenzen wurde von einer Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesamtes für Justiz BJ geebnet. Diese Arbeitsgruppe, welche zwischen November 2009 und April 2010 insgesamt drei Sitzungen durchführte, setzte sich unter Einbezug der Betroffenen mit der Thematik der administrativen Versorgung auseinander und suchte gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten. In dieser Arbeitsgruppe waren neben dem BJ folgende Stellen vertreten: die SODK, die KKJPD, die KOKES (früher: Vormundschaftskonferenz VdK), die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF, das Amt für Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern und die Anstalten Hindelbank. Neben der Entwicklung eines Konzepts für die Gedenkveranstaltung wurden in der Arbeitsgruppe weitere Fragestellungen erörtert: etwa die Anforderungen an eine historische Aufarbeitung, die Problematik der Aktensicherung und Akteneinsicht oder auch der Zwangsadoptionen.

Der Gedenkanlass in Hindelbank war ein erster wichtiger Schritt zur nationalen und insbesondere zur politischen Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und stiess in den Medien und in der Öffentlichkeit auf ein starkes und positives Echo. Wesentliches zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Behörden beigetragen hatten auch die diversen Artikel von Dominique Strebel, ehemaliger Redaktor des Schweizerischen Beobachters, seine Buchpublikation «Weggesperrt. Warum Tausende in der Schweiz unschuldig hinter Gittern Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz vor 1981 sassen» von 2010 und die Interpellation von Nationalrätin Jacqueline Fehr (09.3440 Interpellation Administrativ versorgte Jugendliche. Moralische Wiedergutmachung, eingereicht am 30. April 2009).
Siehe: Öffentliche Entschuldigung

Unter Ziffer 3.3.11 Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF wurde festgehalten:

Die EKF befasst sich seit 1977 mit dem Frauenstrafvollzug in Hindelbank. Im Jahr 1978 erschien ihr Bericht «Strafvollzug an Frauen in der Schweiz» mit einem Katalog von Reformvorschlägen. Eine der damaligen Forderungen betraf auch die klare räumliche Trennung von verurteilten Straftäterinnen und administrativ Eingewiesenen. Im Rahmen ihres Engagements wandte sich Ursula Biondi Ende 2007 an die EKF mit der Bitte um Unterstützung für ihre Anliegen einer Rehabilitierung der im Frauengefängnis Hindelbank ohne Verurteilung weggesperrten Frauen. Die EKF nahm daraufhin eigene Recherchen vor und setzte sich in der Folge kontinuierlich für eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse ein. Als ausserparlamentarische Kommission des Bundes hat sie über ihre Geschäftsführerin Elisabeth Keller eine vermittelnde und klärende Rolle zwischen Behörden und Betroffenen eingenommen und nimmt mit beratender Funktion am Runden Tisch teil.

Bericht und Massnahmenvorschläge des Runden Tisches

Protokolle und Aktennotizen des Runden Tisches

Die Verhandlungen am Runden Tisch für Opfer von FSZM wurden auf Tonträger aufgenommen und sind für alle zugänglich.

Delegierter für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen